Wer hätte gedacht, dass es schon vor 350 Jahren in Mode war, auf große Tour durch Europa zu gehen? Das was heute ein Erasmus-Jahr oder eine Interrail-Reise ist, nannte man damals Grand Tour.
Die Geschichte der Grand Tour beginnt in der Renaissance. Als Vorreiter des modernen Tourismus bezeichnet sie eine ausgedehnte Bildungsreise junger Adeliger durch Europa. Da sie zumeist dem männlichen Geschlecht vorbehalten war, ist sie auch als Kavalierstour bekannt.
Das 1670 erschienene Buch “The Voyage of Italy” von Richard Lassels erwähnte den Begriff der “Grand Tour” zum ersten Mal. In ihm beschrieb Lassels im Detail die Route, die Ziele und die Aufenthaltsdauer jeder Station und legte
jedem ernsthaften Studenten der Architektur, der Antike und der Künste nah,durch Frankreich und Italien zu reisen, um die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Realitäten der Welt zu verstehen.
Die große Tour konnte bis zu 3 Jahren dauern – man darf nicht vergessen, dass die Reise anfänglich zu Fuss oder zu Pferde unternommen wurde (später, ab dem 18. Jahrhundert, auch mit der Kutsche) und pro Tag nicht mehr als 30 oder 40 km zurückgelegt werden konnten.
Insbesondere in englischen Adelskreisen war die Grand Tour Ende des 17. Jahrhunderts schwer angesagt. Die Mode erstreckte sich später auch auf den deutschen und französischen Adel sowie das gehobene Bürgertum.
Die Rundreise diente neben der Persönlichkeitsbildung, dem Networking und der Erweiterung von Sprachkenntnissen. Das war schon ein ziemlich moderner Ansatz und ist heute durchaus vergleichbar mit dem ERASMUS-Programm der EU.
Stationen der Grand Tour
Die Renaissance hatte eine Aufbruchsstimmung und ein wiederentdecktes Interesse an der Kunst und Architektur der Antike hervorgerufen. Folgerichtig führte die Route der Bildungsreise dann auch obligatorisch zu den antiken Stätten in Italien. Dort gehörte der Besuch von Florenz, Venedig, Rom und Neapel zum Pflichtprogramm.
Der Weg ins Sehnsuchtsland ging über Reims, Paris, Genf, Lyon und Nizza. Auf der Rückreise waren Wien, sowie die deutschen Universitäts- und grossen Bäderstädte wie Berlin, Weimar, Heidelberg sowie Baden-Baden und Karls-und Marienbad beliebte Stationen.
Die berühmteste Reise: Goethes “Italienische Reise”
Schon Goethes Vater hatte sich 1740 auf eine einjährige Kavalierstour durch Italien begeben. Im September 1786 tat es ihm Johann Wolfgang von Goethe gleich. Im Alter von 37 und nach 10 Jahren als Staatsbeamter am Weimarer Hof, machte er sich auf nach Italien. Unter dem Pseudonym Johann Philipp Möller reist er anderthalb Jahre durch das Land. Er will Kunst studieren und Maler werden.
Seine Notizen und Eindrücke veröffentlicht er erst 30 Jahre später. Seine “Italienische Reise” löst einen wahren Hype in Deutschland aus. Italienreisen und Reiseberichte generell waren fortan höchst populär. So sehr, dass jeglicher neu erscheinender Italien-Reisebericht vom Brockhaus im Jahre 1830 als gleichbedeutend mit “Wasser ins Meer tragen” angesehen wurde.
Die Pauschalreise, Nachfolger der Grand Tour
So wie die Engländer die Vorreiter der Grand Tour waren, so waren sie auch die Erfinder der Pauschalreise. Nur wenige Jahre nach der Veröffentlichung von Goethe’s “Italienische Reise” veranstaltete der Tischler Thomas Cook die erste Pauschalreise: eine Eisenbahnfahrt von Leicester nach Loughborough, Unterhaltung und Verpflegung inklusive. Das Reisen wurde massentauglich.
Was ist für Dich die moderne Version der Grand Tour? Hast Du schon eine lange (Bildungs)reise unternommen und wohin hat sie Dich geführt?